Sein Jubiläum feierte das beliebte Talk-Format zusammen mit den SVIT-Bewertern auf grosser Bühne, und beschenkte sich selbst – wie sonst? – mit einer spannenden Ausgabe. Der Titel: «Pi mal Daumen 2.0: Immobilienbewertung in Korrekturphasen».
Der Ruf einer «Raketenwissenschaft» eilt der Immobilienwirtschaft nicht unbedingt voraus, aber anspruchsvolle Themen gibt es darin wohl. Da wäre zum Beispiel die Frage der Bewertung, wie schon vor einem Jahr zu sehen war, als schon einmal ein «Immobiliengespräch» zum Thema stattfand. Der Komplex «Bewertung» war prädestiniert für eine Neuauflage, und dass diese intellektuell anregend wurde, lag an dem grossartig besetzten Panel mit John Davidson als Moderator. Es wurde übrigens auch ziemlich unterhaltsam. Anteil daran hatten nicht zuletzt der Schlussredner Andreas Loepfe und die schmissigen Thesen, die er mitgebracht hatte. Er stellte die Bewertungspraxis als Spielball höherer Mächte dar, als Opfer von «Narrativen», womit Loepfe übrigens auch selbst ein gelungenes Narrativ darbot. Seine Sicht auf das Phänomen «Bewertung» war dabei nur eine Perspektive unter mehreren, die der Abend bot. Die drei Sichtweisen waren gleichermassen faszinierend und berechtigt – obwohl sie nicht viel unterschiedlicher hätten sein können.
Reines ‹Mark to Model› – ein Mythos
Da war zum einen die Perspektive der Objektivität – eingenommen von dem Akteur, der am dichtesten dran ist am Thema: der Bewerter selbst. Es war wieder Daniel Macht, Head Valuation & Advisory bei JLL Schweiz, der die Zunft auf dem Podium vertrat. Wieder musste er sie gegen den Vorwurf verteidigen, die Bewertungen seien schlicht zu hoch. Aber die Renditen für Mehrfamilienhäuser und Büros in Zürich oder Genf, die im europäischen Vergleich zwar in der Tat die tiefsten sind, erscheinen in Relation zu den risikofreien Anlagen in einem anderen Licht. Wie Macht zeigte, gehören die Risikoprämien in Genf und Zürich zu den höchsten im Vergleich, bei Wohnimmobilien sind sie sogar Spitze. Sein Fazit: Die Schweiz ist angemessen bewertet. Dass die Bewertungspraxis hierzulande zu sehr dem «Mark to Model»-Ansatz folge, also zu marktfern ausgerichtet sei, sieht Macht als «Mythos» an. Zwar wird in der Schweiz tatsächlich in der Regel modellbasiert bewertet – aber das heisst Macht zufolge nicht, dass nicht auch harte Daten einflössen, angefangen bei Betriebskosten und Marktmieten, bis hin zu Ankaufsrenditen aus vergleichbaren Transaktionen. Nicht beobachtare Inputparamter spielten nur dann eine Rolle, wenn es kein beobachtbares Marktgeschehen gebe. Und da hat sich die Lage seit dem letzten «Immobiliengespräch» zum Thema stark verändert. Der Investmentmarkt ist angesprungen und der Investitionshunger bei vielen Akteuern wieder erwacht. Datenmaterial aus leibhaftigen Deals ist vorhanden, wie Macht versicherte. Dass die Bewertungen System haben und nicht der Willkür unterliegen, zeigte der Bewerter mit einem Blick auf die unterschiedlichen Immobilientypen. Demnach ist es nicht so, dass die Werte seit Mitte 2022 für den ganzen Markt sich geich entwickelt hätten. Während etwa Spitzen-Bürohäuser seither an Wert gewannen, ging es zum Beispiel für Häuser mit Instandhaltungsbedarf in die andere Richtung. Das spricht dafür, dass sachliche Gründe die Bewertung treiben.
Auch die Verpackung zählt
Einen etwas anderen Blickwinkel auf die Sache nimmt Stephan Lüthi ein. Die Perspektive des Head Real Estate Asset Management bei der Zürcher Kantonalbank könnte man pragmatisch nennen, die Sinnfrage steht für den Investor schliesslich eher im Hintergrund. Entscheidend ist für Lüthi: Der Marktwert wird gebraucht, er ist eine wertvolle Momentaufnahme. Ohne Bewertung lässt sich kein NAV berechnen und kein Agio – alles Dinge, die benötigt werden. Eine Grösse, die für sich alleine einen Sinn ergäbe, ist der Fair Value für Lüthi aber nicht. Statt Wert an sich gibt es nur Wert für jemand, und dieser Wert sieht für jeden Investor anders aus. Für den einen mag ein aufgegebenes Shoppingcenter wertlos sein, für den anderen, der weiss wie Revitalisierung von dergleichen geht, dagegen nicht. Fair Value versus Investment Value – das ist ein Punkt, der so wichtig ist, dass man ihn sich wiederholt vor Augen führen sollte. Zu den Aspekten, die auf Werte Einfluss haben, nannte Lüthis diesmal auch die Form des jeweiligen Vehikels. Der Wert von einem und denselben Underlying kann über die Jahre einen deutlich unterschiedlichen Verlauf nehmen – je nachdem, ob er die Verpackung «Immobilien-AG» hat oder «Anlagestiftung». Auch das ein spannender Gedanke mit Blick auf die Frage, was Bewertung sein kann – und was nicht.
Narrative machen Immobilien teuer
Dann aber Vorhang auf für Schlussredner Andreas Loepfe, der mit Genuss den Advocatus Diaboli spielte. Ausgangspunkt seiner Argumentation: Die Privaten drehen derzeit am Markt ein grosses Rad. Das war übrigens eine Beobachtung, die zuvor schon Macht geäussert hatte und mit Daten seines Arbeitgebers JLL eindrucksvoll belegen konnte (auch wenn die Definition von «vermögende Private» sich in puncto Anlagevolumen nicht ganz deckte). Loepfe deutete den Hunger der vermögenden Privatiers auf direkte eigene Immobilieninvestments als Reaktion darauf, dass sie bei den Institutionellen tiefe Renditen geboten bekommen. Geschuldet seien diese wiederum einem gewissen Herdentrieb, ausgelöst und vielleicht sogar gesteuert durch wirkmächtige Narrative – und an dieser Stelle kommen die Bewerter ins Spiel. Loepfe meint, erfolgreiche Bewerter antizipierten die Narrative ihrer institutionellen Auftraggeber. Daher seien sie mit diesen gleichsam in einer wechselseitig reproduktiven Schleife gefangen. Diese Schleife beinhalte letztlich auch den Markt, denn der schaut auf die Bewertungen, so dass, O-Ton Loepfe, «Bewertungen ihre Werte reproduzieren». Als Narrative, die die Preise treiben, bezeichnete Loepfe Regulierungsthemen wie ESG, dessen Stern übrigens in den USA gerade zu sinken scheint, sowie auch die Vorstellung vom «sicheren Hafen» und das Mantra von den zentralen Lagen. Vielleicht mag man Loepfes Perspektive auf die Dinge ketzerisch finden, auf jeden Fall nimmt er die Dinge aus recht luftiger Höhe in den Blick. Bewertungsstandards wie die IFRS sind dann vielleicht doch ein bisschen zu ausgefeilt, um die Bewerter als willige Vollstrecker anzusehen. Und ein Investor wie Lüthi macht durchaus den Eindruck, Narrativen und Regulierungsthemen nicht nur ausgeliefert zu sein, sondern sie durchaus auch zu spielen und genau zu registrieren, wenn sich Chancen abseits der ausgetretenen Pfade auftun. Aber es ist inspirierend, wenn vermeintliche Gewissheiten mit guten Argumenten in Frage gestellt werden, und da darf auch mal vereinfacht werden. Dass Loepfe vom glänzend aufgelegten Moderator John Davidson zur Strafe einen Randplatz beim Diskussionspanel angewiesen bekam – „du polarisierst», sagte der, – war natürlich Spass.
Die Jubiläumsausgabe der «Immobiliengespräche» fand diesmal übrigens als Schlusspunkt des SVIT Valuation Congress im Zürcher Volkshaus statt. Das Angebot der SVIT-Bewerter war eine schöne Geste, und sie zeigt den Stellenwert, den das Format in der Branche mittlerweile geniesst. Kuchen gab es, eine Verlosung, und Grussworte natürlich auch, aber vor allem zeigte die Veranstaltung durch sich selbst, warum sie so erfolgreich ist: Es sind stets die Inhalte, die im Mittelpunkt stehen.